Erklärung der iL Münster: Warum wir nicht mehr in der interventionistischen Linken Politik machen wollen
Seit den Anfängen der iL waren Genoss*innen aus Münster dabei: bei den Beratungstreffen, in Heiligendamm oder bei „Castor schottern“. 10 Jahre haben wir als iL- Gruppe in Münster Politik gemacht. In all den Jahren haben wir auch Verantwortung für die Gesamtorganisation übernommen. Nach der Krise der radikalen Linken in den 1990er Jahren und in den Aufbrüchen der globalisierungskritischen Bewegung der 2000er war die iL für uns ein linksradikales Projekt, das nach einer Organisierung neuen Typs suchte, aus der Subkultur hinauswollte, eine strategische Bündnisorientierung betrieb und mit neuen Aktionsformen experimentierte.
Auf der Straße (oder dem Acker) haben wir durch Interventionen in die Anti-AKW-Bewegung mit „Castor schottern“ versucht den Zivilen Ungehorsam der Sitzblockade massenhaft zu radikalisieren. In einer europäischen Kampagne wie Blockupy haben wir die Brutalität bundesdeutscher Austeritätspolitik offengelegt und Signale internationaler Solidarität gesetzt. Damit wollten wir unter Bewegungs-, Gewerkschafts- oder Parteiaktivist*innen, aber auch unter Leuten, die sich erstmals an solchen Pro-testen beteiligten, einen Sinn für Militanz wecken, den sie dann für sich selbst fruchtbar machen konnten – in Eigenregie. Das ist uns damals auch gelungen.
Die Idee, aus diesen Kämpfen und Interventionen heraus die Aufgabe einer radikalen Linken weiter zu bestimmen, „auf den Prozess zu setzen“, hat allerdings dazu geführt, dass in der Gesamt-iL Bildungs- und Theoriearbeit nie systematisch betrieben wurde. Und das war zu Anfang auch gewollt. 2004 hatten wir uns in aller Unterschiedlichkeit entschieden, zunächst praktisch zusammenzukommen und von dort aus Gemeinsames und Unterscheidendes zu bestimmen. Wir wollten „Sand im Getriebe“ sein, ein „Projekt in Bewegung, das sich durch Intervention in praktische Kämpfe entwickeln will.“ (Aufruf zur zweiten Offenen Arbeitskonferenz der IL, Marburg 2008). All das aber hat sich spätestens 2015 gegen uns gewandt. Nach unserer Niederlage im Kampf gegen die Austeritätspolitik der EZB, die sich so dramatisch in Griechenland zeigte, brachten wir keine strategische Bestimmung mehr zustande. Andere sahen das Problem bereits mit dem ersten Zwischenstandspapier aufkommen, in dem – zumindest aus heutiger Perspektive – bereits der bürokratische Verlauf der Organisationsfrage angelegt war.
Das Scheitern der europäischen Linken in der Zeit nach Blockupy, die Perspektivlosigkeit, die sich daraus ergab, konnten wir als iL politisch nicht mehr einholen. Bereits auf den Sommer der Migration und darauf folgend auf den Aufbruch der Klimabewegung, die Proteste gegen die AfD, G20-riots, Black Lives Matter, die feministischen globalen Aufbrüche etc. hat die iL keine überzeugenden Antworten mehr gefunden, die anders gewesen wären als „wir sind dabei“. Nichts an unseren Reaktionen war kreativ und radikal, weder unsere Sprache noch unsere Aktionen.
Zudem konnten wir nicht mehr klar benennen, worin die aktuellen Veränderungen und Anpassungen des Kapitalismus bestehen und worauf sich deshalb unsere Kämpfe beziehen sollten. Vielmehr wurde das Gegenstand unserer Kämpfe, was gerade en vogue war und wo sich, wirklich oder scheinbar, etwas bewegte. Als iL und in der iL haben wir es nicht geschafft unsere politischen Optionen und Annahmen (strategische Bündnisorientiertung, Ziviler Ungehorsam etc.) kritisch zu reflektieren, neu- und weiterzudenken oder auch zu verwerfen und gemeinsam nach linksradikalen Antworten in einem sich verändernden kapitalistischen Akkumulationsregime zu suchen. So haben wir z.B. den Zivilen Ungehorsam professionalisiert und ritualisiert und statt zum Motor der Kämpfe wurde die postautonome Linke zu ihrem Ordnungsfaktor. Die Anschlussfähigkeit der Aktionsformen ersetzte eine weitere Zuspitzung – der Weg der kleinen Schritte durch Alltagskämpfe, Basisorganisierung und Mehrheitswerdung. Konzepte wie „Neue Klassenpolitik“ wurden in der iL zu Schlagworten für das politische Handeln, anstatt sie zu diskutieren und zu überlegen, was und wie sie mit unserem eigenen Politikverständnis zu tun haben. So aber gelangen wir nicht zu einer linksradikalen Praxis, die ihre Unversöhnlichkeit mit den Verhältnissen in diese Gesellschaft trägt!
Wir haben es trotz zahlreicher Versuche nicht geschafft eine Debatte in der iL auszulösen, die geklärt hätte, warum all das so ist, warum bewährte Konzepte immer weniger funktionieren, warum viele der Antworten heute gar nicht mehr stimmen. Vielmehr hat die iL versucht, die eigene Ratlosigkeit und den Ideenverlust durch eine große, vermeintlich schlagkräftige, nach innen funktionstüchtige Organisation zu ersetzen. Dabei wurde die Parole von der „IL der 5000“ unkritisch übernommen und damit auch das quantitative Wachstum nach außen und die innere Konzentration auf den Aufbau von Strukturen. Wir wollten eine Organisierung neuen Typs und haben eine Organisation bekommen, die ihre Politik eher als Verwaltung denn als Suche nach radikalen Antworten versteht.
Indem wir gewachsen sind, sind die gesellschaftlichen Probleme zunehmend auch zu unseren internen Problemen geworden: Wir haben die neoliberale Subjektivierung und damit z. B. den Ersatz von Politik durch Moral ins Innere unserer eigenen Organisation geholt. So finden wir in diesem Rahmen keine Auswege mehr. So trägt die iL nicht mehr dazu bei, Subjekte linksradikaler Politik hervorzubringen. Stattdessen verfällt sie in einen Kollektivismus, der in einer zu großen Verschiedenheit der Politik- und Organisationsvorstellungen vor allem eine Bedrohung erblickt und der eine abstrakte Loyalität zur Organisation als wichtigste Tugend zu begreifen scheint.
Wir sind unzufrieden mit der Politik, die wir selbst seit Jahren machen. Wir sind unzufrieden mit unserer eigenen Ohnmacht angesichts sich zuspitzender Verhältnisse. Sozialdemokratische Politik wird mit einem linksradikalen Habitus verknüpft und blockiert die Entfaltung strategischer Überlegungen grundsätzlicher Art. Wir wollen aber wissen, wie eine radikale linke Politik heute aussehen müsste. Doch liegen diese Ideen auch außerhalb der iL weder auf der Hand noch auf der Straße – so ist die Krise der iL Teil einer viel umfassenderen Krise radikaler linker Politik in der BRD und darüber hinaus. Corona hat diese Krise und das Versagen der Linken, eine politische Option jenseits des staatlichen Handelns zu formulieren, für ein radikales Leben einzustehen und damit eine Alternative zur Traurigkeit staatlich-kapitalistischer Verwaltung aufzuzeigen, neu in unser Bewusstsein geholt. Wir haben diese Fragen in die iL getragen und sind in ihr und an ihren inneren Strukturen immer wieder gescheitert.
Daher lautet unser vorläufiges Fazit: Gemeinsam kommen wir nicht weiter voran – deswegen trennen wir uns nun als Gruppe von der iL. Wir werden als EXiL weiterhin bundesweit und internationalistisch Politik machen und uns neue Banden suchen, mit denen wir gemeinsam Wege linksradikaler Existenz finden können.
Münster, November 2021
EXiL