Redebeitrag der IL-Münster bei der Kundgebung zum 1. Mai 2020

Heute ist der 1. Mai, ein wichtiges Datum für viele Menschen, die sich den Kämpfen um Gerechtigkeit, gegen Ausbeutung und Unterdrückung verpflichtet fühlen. Und wie an jedem 1. Mai sind wir wieder auf der Straße, um an die vergangenen Kämpfe zu erinnern, aber auch die heutigen Missstände anzuprangern und dazu aufzurufen, sich im Kampf gegen Ungerechtigkeit weiter zu engagieren.

Und doch ist heute nichts wie immer: Seit Wochen hält die Corona-Pandemie die Welt in Atem. Wenn wir die Nachrichten sehen oder in die Zeitung schauen, geht es fast nur noch um Ansteckungszahlen, Maskenpflicht, Hoffnung auf den Impfstoff und Zahlen von Erkrankten, Toten und Genesenen. Die Angst geht um, Angst um das nackte Überleben, aber auch Angst vor der Erkrankung, vor dem Verlust von Menschen, die wir lieben. Angst vor Arbeitslosigkeit und Verarmung, vor den Auswirkungen sozialer Distanz und dem Verlust unserer sozialen Kontakte, von Kollektivität und Gemeinschaft.

All diese Ängste sind nicht neu, sie sind seit jeher Teil unseres Lebens in diesem System, das wir Kapitalismus nennen.
Heute erinnern wir und rufen erneut auf zum Kampf gegen dieses System. Dieser Kampf war und ist einer gegen all diese Ängste, die dieses kapitalistische System hervorbringt und mit denen es uns beherrscht.

Nichts an der Corona-Pandemie ist natürlich oder schicksalhaft: Bereits ihre Entstehung hat damit zu tun, wie die rücksichtslose Umweltzerstörung Lebensräume vernichtet, so dass Viren viel leichter auf den Menschen übertragen werden können. Sie trifft nicht alle gleich, auch wenn sie alle bedroht: Aber es macht einen großen Unterschied, ob man auf der einen Seite über große Wohnanlagen und Gärten verfügt, materiell gut versorgt ist, sich nach Belieben zurückziehen kann und Zugang zu guter medizinischer Behandlung hat. Oder auf der anderen Seite in sozial und wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen lebt, die es verunmöglichen sich zu schützen. So wie es den meisten Menschen weltweit geht. Diese Unterschiede macht die Corona-Pandemie in aller Brutalität offenbar. Und sie spitzt diese Unterschiede weiter zu.

Auf diesen Unterschieden beruht das kapitalistische System, in dem wir leben: die Armut der einen ist die Voraussetzung des Reichtums und der Profite der anderen. Die Konkurrenz zwischen den einzelnen auf dem Markt, wie zwischen den Staaten auf dem Weltmarkt strukturiert das kapitalistische System und verhindert Solidarität mit allen Menschen gleichermaßen. Auch jetzt. Oder gerade jetzt.

Der 1. Mai erinnert uns daran, dass das nicht so bleiben muss. Er ruft zu einer Solidarität unter denen auf, die unter diesem System leiden – einer Solidarität, die nicht einfach ein Gefühl ist. Sondern eine Solidarität die Formen der Organisierung hervorbringt für ein besseres Leben für alle. Unsere Angst können wir nur gemeinsam überwinden. Um das kämpfen, was ein Leben in Würde ausmacht, können wir nur zusammen.

Das eben ist das Tückische an diesem Coronavirus sowie dem Umgang mit ihm: dass diese Formen des Gemeinsamen bedroht sind. Und dass die Herrschenden diese Bedrohung nutzen, um uns noch mehr in die Isolation und die Vereinzelung zu treiben, uns einzureden, dass wir uns am besten nur um unser eigenes Wohlergehen und das unserer Familie zu kümmern haben.

Die Botschaft des 1. Mai ist eine andere: In unseren Kämpfen geht es um uns alle – und damit um alles. Nicht nur um das bloße Überleben, sondern um Leben, das diesen Namen verdient. Um Leben in Gerechtigkeit und Solidarität, um Freiheit und Gleichheit aller. Um an einer Möglichkeit solchen Lebens festzuhalten, haben wir uns heute hier versammelt, Corona zum Trotz. Weil wir wissen, dass ein solches Leben uns nicht vom Schicksal zufällt oder gewährt wird. Es muss von uns allen gemeinsam erkämpft werden!

Daran wollen wir uns heute erinnern. Und wir wollen weitermachen. Unsere Kämpfe hören nicht auf, weder während der Corona-Pandemie noch danach. Wir werden weitermachen und wir werden unsere Phantasie und Kreativität nicht einsperren lassen, sondern sie nutzen um neue Formen des Protestes und Widerstandes zu erproben. Dazu ermutigt uns der 1. Mai und der Gedanke an die vielen, die vor uns gekämpft haben und die vielen, die heute mit uns kämpfen, in allen Teilen der Welt.

Hoch die internationale Solidarität!

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